Bei der Prüfung von Steuererklärungen privater Personen schaut das Steueramt bei der Vermögensentwicklung genau hin: Ist sie im Vergleich zum deklarierten Einkommen plausibel? Bleiben hier Fragen, erhalten Steuerpflichtige eine Rückfrage und müssen sich erklären. Dies kann zu schlaflosen Nächten führen, auch für die Steuerberaterin…
Die Rollen von Steuerpflichtigen (Kunden), Treuhändern und Steuerberatern
Manches im Leben passiert und lässt uns nie mehr los. Vergessen geht nicht, auch wenn man es sich noch so sehr wünscht. Was sich der Treuhänder in dieser Geschichte geleistet hat, würde ich irgendwie gerne vergessen. Und stattdessen daran glauben, dass Menschen ihre Grenzen kennen und Recht und Unrecht voneinander trennen können.
Steuerberater zu sein fordert nicht umsonst viel Fachwissen und Erfahrung. Man muss analysieren, einordnen können, trennen können, einschätzen, was realistisch ist und was nicht, kritisch hinterfragen, Möglichkeiten, Chancen und Risiken sehen. Und Menschenkenntnis ist auch noch wichtig.
Wie man mich halt kennt, stehe ich ja auf die besonderen Herausforderungen. Und diese hatte die vorliegende Geschichte eindeutig parat:
Es geht um viele Fragezeichen, ein dunkles Geheimnis und unfassbares, menschliches Versagen.
Steuerberaterin zu sein ist ein schöner Beruf. Er ist spannend, er fordert heraus, aber manchmal fordert er auch schlaflose Nächte, viel Engagement und Kreativität. Wie steht man hilflosen Leuten in einer schier ausweglosen Situation bei? Wie wird ein steuerlich relevanter Sachverhalt festgestellt, an den sich die Kunden bzw. Steuerpflichtigen selbst nicht mehr so genau erinnern? Wie hilft man Leuten «aus der Patsche»?
What’s the story, morning glory?
Spannende Fälle beginnen häufig einerseits mit einer Ermessensveranlagung – andererseits mit einer ganz unscheinbar wirkenden Rückfrage des Steueramtes. Diese Erfahrung durfte schon das eine oder andere Unternehmen schmerzlich erleben.
Wahrscheinlich spitzen Treuhänder hier schon eher die Ohren als (Unternehmens-) Steuerberater, wenn ich erzähle, dass der Brief von einer nicht nachvollziehbaren Vermögensentwicklung handelt. Die Vermögensentwicklung Jahr für Jahr für ihre Kunden nachzuvollziehen, ist Teil des Jobs, wenn eine Steuererklärung professionell ausgefüllt wird. Nicht umsonst ist es etwas teurer, die Steuererklärung extern bei einem Profi erledigen zu lassen. 😉
Je höher Einkommen und Vermögen, desto grösser sind natürlich auch die Schwankungen, aber sie müssen plausibilisiert werden. Die Vermögensentwicklung ist somit stark vom Lebensstandard abhängig.
Was passiert, wenn das Vermögen um den Betrag des Jahreseinkommens zunimmt?
Ja, richtig gelesen. Doch von vorne:
Ich las den Brief durch. Die Frage war einfach: Man solle doch bitte erklären, wie das Vermögen der Familie um rund CHF 130’000 zunehmen konnte, während das deklarierte Einkommen ebenfalls CHF 130’000 betrug.
Dann schaute ich mir ein erstes Mal die Steuererklärung an, die eingereicht wurde:
Die beiden Beträge waren in echt natürlich ungerundet. Und betrugen auf den Franken genau gleich viel.
Auf den Franken genau!
Und jetzt bitte mal überlegen: Wie realistisch ist das denn? Unter Berücksichtigung, dass wir alle arbeiten und Geld verdienen, um etwa Essen, Miete oder Ferien zu bezahlen, würde sich wohl jeder wünschen, dass wir am Ende das Jahres trotzdem noch genau den Betrag auf dem Konto hätten, den wir durch unsere verdient haben.
Da stellt sich doch die Frage, wie wir unseren Lebensunterhalt bestritten haben?
Die (ungeklärte) Vermögenszunahme entsprach also auf den Franken genau den Einkommen der Familie in diesem Jahr.
Geld unter dem Kopfkissen
Als erste Information, die ich erhalten habe, kann ich mich an «Geld unter dem Kopfkissen» erinnern. Das war echt schräg. Einerseits ist das sowieso nur so Blabla, andererseits fragte ich mich immer, wer ausser Omas und Opas denn noch Bargeld zu Hause bunkern hat.

Nun ja, jetzt weiss ich es. Bevor man mich hinzuzog, wurde der Brief bzw. die Nachfrage des Steueramts natürlich besprochen. Und dann kam heraus, dass im fraglichen Jahr Bargeld zum Bezahlen von Rechnungen, Einkäufen und dergleichen benutzt wurde.
Und zwar wurden alle Rechnungen bar bezahlt.
BÄÄÄÄÄÄM.
Prüfung der Vermögensentwicklung als Bestandteil der professionellen Erfassung einer Steuererklärung
Zur Sorgfaltspflicht eines Treuhänders bei der Ausfertigung einer Steuererklärung gehört die Prüfung der Vermögensentwicklung bzw. ein Vermögensvergleich von der letzten zur aktuellen Steuererklärung. Dabei wird geprüft, ob sich die Vermögenszunahme oder Vermögensabnahme durch das deklarierte Einkommen erklären lässt.
Beispiel Vermögensentwicklung:
Anna verfügt über CHF 100’000 per 31.12.2020. Sie verdient netto pro Jahr CHF 50’000, wovon sie CHF 45’000 für ihren Lebensunterhalt benötigt. Erwarten würden wir hier ein Vermögen von CHF 105’000 per 31.12.2021.
Nimmt das Vermögen im Vergleich zum Einkommen unverhältnismässig zu, stellen sich weitere Fragen:
Wenn Anna’s Vermögen am 31.12.2021 CHF 200’000 beträgt, würden wir uns wahrscheinlich fragen, was passiert ist. Erwartet hätten wir ja CHF 105’000. Plausible Erklärungen könnten etwa eine Erbschaft oder ein Lottogewinn sein.
Was also lief bei dieser Familie schief?
Als ich den Treuhänder darauf ansprach, lautete die lapidare Antwort: «Eine Kontrolle der Steuererklärung wurde hier scheinbar nicht gemacht.»
Ja, es scheint so…. Mein lieber Mann, es IST so!
Sorgfaltspflichten eines Treuhänders
Was es noch schwieriger zu verstehen macht:
Die Treuhandgesellschaft nutzte Dr. Tax. Diese Software zum (professionellen) Erfassen und Verwalten von Steuererklärungen nutzt ein Ampelsystem. Leuchtet «grün», ist alles OK und das Programm selber stellt keine Auffälligkeiten fest.
In diesem Fall alarmierte das System allerdings mit «rot», dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Der Treuhänder hätte somit eine genauere Prüfung der erfassten Faktoren vornehmen müssen. Was er nicht gemacht hat. Er hat somit seine Sorgfaltspflichten vernachlässigt.
Dr. Tax kennt übrigens nicht nur das Ampelsystem, sondern auch eine kurze Checkliste, wo chronologisch und personell z.B. der Eingang der Steuererklärung, die Erfassung der Steuererklärung und deren Prüfung erfasst werden (können). Der Treuhänder hat systemtechnisch wohl «kontrolliert» abgehakt, aber die Kontrolle selbst unterlassen.
Exkurs: Strafbarkeit des Steuervertreters / Treuhänders / Steuerberaters etc.
Art. 177 Abs. 1 DBG
«Wer vorsätzlich zu einer Steuerhinterziehung anstiftet, Hilfe leistet oder als Vertreter des Steuerpflichtigen eine Steuerhinterziehung bewirkt oder an einer solchen mitwirkt, wird ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit des Steuerpflichtigen mit Busse bestraft und haftet überdies solidarisch für die hinterzogene Steuer.»
Die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit ist im Recht und damit auch im Steuerrecht regelmässig wichtig. Denn hier ist Vorsatz auch beim Steuervertreter strafbar. Fahrlässigkeit hingegen nicht.
Besondere Beachtung verdient dabei der Eventualvorsatz. Dabei erinnere ich mich an eine Vorlesung bei Dr. Roger Müller, wie er damals im Vorlesungssaal seine Hand in die Höhe streckte, seine Stimme erhob und rief: «Wie konntest du nur?!?» Das ist Eventualvorsatz. Und bei Vorsatz kann der Steuervertreter als Mitwirkender bei der Steuererklärung steuerstrafrechtlich belangt werden.
Die Busse kann übrigens bis zu CHF 10’000 betragen.
Hier gehts zum Artikel: (Wann) Lohnt es sich für mich, die Steuererklärung durch den Steuerberater erstellen zu lassen?
Antrag auf straflose Selbstanzeige?
Weiter wurde ich – bevor ich mir damals selber ein Bild machen konnte – informiert, dass, wenn man dem Steueramt diesen Sachverhalt trotz allem nicht verständlich erklären könne, eventuell einen Antrag auf straflose Selbstanzeige machen solle.
Interessante Sichtweise, denn solch ein Antrag kann man nur stellen, wenn die Steuerbehörden von der Hinterziehung noch nichts weiss (siehe Art .175 Abs. 3 DBG).
Wie sich später beim Blick in die eingereichte Steuererklärung herausgestellt hat, war das Finden einer einfachen Erklärung der Vermögenszunahme schwierig: Wie ich schnell erkannt habe, wurde das Bargeld in den Vorjahren nicht deklariert. Wie soll man denn bitte über CHF 100’000 Bargeld für die Bestreitung der Lebenskosten erklären, wenn eben dieses Bargeld in der Steuererklärung nie deklariert wurde? Und wie soll man dem Steueramt erklären, dass diese Deklaration halt einfach vergessen ging?
Es ging ja nicht gerade um ein paar Trinkgelder…
Das Einkommen stammte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. Branche: Gastgewerbe. Und wie allgemein bekannt sein dürfte, ist das Gastgewerbe ein bargeldintensives Gewerbe. Nicht umsonst stellen die Steuerbehörden konkrete Anforderungen an die Kassengeschäfte. Und mit diesem Hintergrundwissen würde ich mal behaupten, sollte man bei der Erfassung der Steuererklärung auch nachfragen, ob und welcher Bargeldbestand vorliegt.
Seriöse Treuhänder stellen Ihren Kunden eine Checkliste für die Steuererklärung zur Verfügung.
Das war dann der letzte Punkt, bei dem ich ziemlich fassungslos über die Arbeit des Treuhänders war. Denn als er das Mandat wenige Jahre zuvor übernahm, erklärte er dem Kunden, dass er die Tageseinnahmen täglich zu Bank bringen müsse. Ihm war also sehr wohl bewusst, dass es hier Bargeld gab. Aber allem Anschein nach dachte er nicht weiter darüber nach, wo denn das ganze Bargeld lag, dass bisher eben nicht jeden Tag zur Bank gebracht wurde.
Einfach. Nur. Dämlich!
Schwierige Ausgangsage: «Schwarzgeld»?
Unter diesen Umständen traute ich dem Treuhänder kein Stück. Die in Aussicht gestellte Besprechung mit den Kunden vereinbarte ich folglich ohne ihn.
Wie sich später zeigte, war dies eine gute Idee:
Der Mann weinte fast, ihm war es sehr peinlich. Er erklärte, dass er selber nicht mehr genau wisse, wie alles angefangen habe. Zu Beginn waren es nur kleinere Beträge, die er zu Hause hatte. Das Geld war halt einfach da. Und es wurde immer mehr. Und je länger das Bargeld bei ihm lag, desto weniger traute er sich, mit jemandem darüber zu sprechen. Die Situation verschlimmerte sich.
Seine Frau erklärte mir, dass sie bis vor ein, zwei Jahren über die genaue Höhe im Unklaren war. Dann entschieden sie sich, dass es das Beste sei, das Geld zu verwenden. Dann wäre es ja irgendwann weg. Dass es dann soviel war, erkannten sie daran, dass «der Berg» trotz Verbrauchens gross blieb.
Als der Brief vom Steueramt eintrudelte, war es zuerst ganz schlimm: Das Bargeld wurde doch gar nicht in den Steuererklärungen deklariert? Oder? Oder doch? Wurde es versteuert? Das Gedankenkarussell drehte sich und wurde schneller, sie konnten den drohenden Problemen nicht mehr ausweichen. Sie schämten sich. Sie machten sich Vorwürfe. Und sie konnten nicht mehr gut schlafen. Schliesslich nahmen sie Kontakt mit dem Treuhänder auf.
Irgendwie waren sie froh, dass der Brief vom Steueramt das Problem ans Licht brachte. Auch wenn es ihnen unsäglich peinlich war. Jetzt wollten sie reinen Tisch machen. Einfach wieder schlafen können.
Meine Aufgabe lag dann darin, die ganze Situation zu analysieren und einen Ausweg aufzuzeigen.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir über das Ausmass nicht im Klaren. Als mich der Mann das zweite Mal darauf ansprach, ob ich den Restbetrag des Bargeldes bei ihnen zu Hause denn wissen möchte, biss ich an. Und staunte:
Wie häuft sich rund CHF 800’000 Bargeld an?
Ja, das war die Frage. Die Antwort zu finden war schwierig, denn nach einer gewissen Zeit weiss niemand mehr genau, was passiert ist und wie was abgelaufen ist.
Hier half mir das offene Gespräch mit den Kunden, gutes Zuhören sowie ganz viel Buchhaltungsmaterial. Wenn die Kunden selber nicht mehr so genau wissen, wann Probleme angefangen haben und weshalb, ist analytisches Geschick und kritisches Hinterfragen nötig.
In der Folge tauchte ich in zehn Jahre Unternehmertum in der Gastronomie ein. Wie fühlte man sich als Startup, wie finanzierte man sich, worauf verzichtete man? Wann und wie verdiente man Geld, wie investierte man? Stimmten die Margen?
Langsam ergab sich ein Bild, Stück für Stück. Und das zeigte nicht etwa einen eiskalten Kriminellen, wie Steuerhinterzieher gerne einmal dargestellt werden (man denke da an Uli Hoeness…), sondern an einen herzlichen Gastronomen. Er war schlicht überfordert mit dem Bürokram. Und was mir in der Seele wehtat: Genau das wusste er ja und holte sich Hilfe. Der erste Treuhänder war ein Kumpel, der ihn aber mehr «in die Sch* ritt» als etwas anderes: Bereits Jahre zuvor forderte das Steueramt seine kompletten Buchhaltungsunterlagen ein. Es fand dann aber nichts, oder nichts Wesentliches.
Und nun das.
Das Ende vom Lied: Steuerhinterziehung
Nach einer intensiven, frustrierenden, «ein Schritt vor und zwei Schritte zurück»-Phase hatte ich die Vergangenheit der Kunden für alle Seiten plausibel zusammengestellt.
Auch nutzten wir die Gunst der Stunde und legten den gesamten Sachverhalt mit dem riesig vielen schönen Geld offen. In solch einem Verfahren lohnt es sich auf alle Fälle, offen und transparent zu kommunizieren. Dieses Vorgehen wurde vom Steueramt goutiert:
Dank einer fundierten Recherche, haltbaren Nachweisen und guter Argumentation konnten wir gegenüber dem Steueramt begründen, dass der Grossteil des Bargeldes einkommenssteuerlich erfasst wurde. Dann aber verschwand es zu Hause im Keller (oder eben unter dem Kopfkissen). Es handelte sich somit um eine Steuerhinterziehung der Vermögenssteuer. Das ist zwar auch nicht gerade etwas, worauf man stolz sein sollte. Zwar ist die Vermögenssteuer nicht so beträchtlich wie die Einkommenssteuer – aber die Verzugszinsen tun dann schon ein bisschen weh.
Brauchen Sie Hilfe oder Unterstützung? Ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme.
Liebe Cornelia
Sehr interessant und packend geschrieben, hammer!!
Liebe Grüsse
Janine
Liebe Janine
Vielen lieben Dank für dein Kompliment. Das freut mich sehr!
LG Cornelia